Der Ring des Schliemann
von Ferdinand Ferber
Familienforschung bildet, wie man sagt, und kann manchmal ungeahnte Wege gehen, wie der Autor dieses Artikels kürzlich erleben durfte.
Die diversen Zweige der Familie Hecker in Allagen und Niederbergheim sind nicht augenfällig verknüpfbar. Die bekannten Familienstämme lassen sich jedoch alle auf eine Person zurückführen, nämlich auf einen gewissen Victor Hecker, der am 18. November 1777 in Anröchte die Evae Brass geheiratet hat. Er war angeblich 60 Jahre alt, als er am 22. April 1814 in Allagen verstorben ist. Tatsächlich wurde er am 07. Juni 1750 in Lohe KS Horn geboren.
Die jungen Leute wohnen sodann in Allagen beim „Kettelmann“, in dem einzigen zu dieser Zeit reinen Mietobjekt in Allagen. Deren vier Kinder, von denen nur zwei das Erwachsenenalter erreichen, werden alle in Allagen geboren und haben die weiteren und bekannten Spuren hinterlassen.
Diese Spuren gilt es nun mit dem Zweig der Familie Hecker in Niederbergheim etwas zu verfeinert, nachdem diese durch die Aufmerksamkeit von Ortsheimatpfleger, Ferdi Kühle, kürzlich einen Beitrag zur Möblierung von Haus Dassel geleistet hat.
Der obligatorische Besuch bei Heinz Bruno Hecker am Wanneberg am Sonntagnachmittag gestaltet sich jedoch völlig anders als erwartet. Nämlich in dem Moment, als ein Familienalbum aus dem Nachlass der Familie Langbein auf den Tisch kommt, sind Heckers zunächst außen vor. Das Neue und Unbekannte zählt unmittelbar.
Ein Familienalbum, wie ein Kunstwerk
Ein gewisser Otto Frölich legte dieses Buch in Hamburg zu Weihnachten des Jahres 1911 an und hat es liebevoll künstlerisch gestaltet, wie es selten zu sehen ist.
Die Vielzahl von Porträtfotos, Lebensortangaben und Lebensdaten sind nicht auf Anhieb einzuordnen und in gegenseitigen Bezug zu bringen.
Heinrich Schliemann, Athen, 1879
Ohne die Hintergründe tatsächlich deuten zu können, war für die Familie Langbein bzw. Hecker ein spezieller Hinweis das Thema bei gelegentlichen Familiengesprächen.
Dieses ist ein im Album eingefügter Brief von Heinrich Schliemann, datiert: Athen 15. November 1879.
Zweifellos eine bekannte und zugleich beeindruckende Persönlichkeit, schließlich war er der Entdecker des verschollenen Troja, für die reisebegeisterte Familie ein verheissungsvoller Ort, nämlich das griechische Athen, und eine Jahreszahl, die Geschichtsbezug erwarten läßt.
Zu diesem Brief an das sehr verehrte Fräulein Ida geht die Geschichte, dass dieses Fräulein Ida, eine bislang unspezifizierte Vorfahrin der Familie, mit diesem Brief einen Ring erhalten hat, der in der Familie von Generation zu Generation weitergereicht und getragen wird.
Was nun?
Um diesem Mythos auf die genealogische Spur zu kommen, folgen nun mehrere Tage und vor allem lange Abende der Recherchen in den verfügbaren Datenbanken. Es gelingt schließlich nahezu den gesamten Datenbestand der im besagten Album angeführten Vorfahren zu benennen und in einem Stammbaum abzubilden. Einige Lücken müssen noch geschlossen und Fakten überprüft werden.
Nun zu den Beteiligten
Familie Meincke
Es beginnt im Kirchspiel Klein Plasten auf dem von der Familie Meincke bewirtschafteten Gut Rockow in Mecklenburg Vorpommern. Dort werden den Gutsleuten drei Kinder geboren, nämlich: Louise Caroline Johanna ger. Luise Meincke geb. 1817, Ernst Meincke geb. 1818 und Wilhelmine ger. Minna Meincke geb. 1821.
Familie Schliemann
Zur gleichen Zeit wird Heinrich Schliemann in Neubukow Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin als fünftes von neun Kindern des Pastors Ernst Schliemann und dessen Frau Luise, geborene Bürger, geboren. Der Vater hat eine Pfarrstelle in Ankershagen, so dass Heinrich dort bis zum Alter von zehn Jahren seine Kindheit verbringt. Nach dem Tod der Mutter und dem Wechsel in die Familie seines Onkels lebt er für einige Zeit in Kalkhorst bei Grevesmühlen. Nach einem kurzen Besuch des Gymnasiums in Neustrelitz, wo er sich übrigens sein Pensionszimmer mit Ernst Meincke teilt, und nach dem Wechsel auf die Realschule in Neustrelitz, folgt eine Lehrausbildung als Handlungsgehilfe in einem Krämerladen in Fürstenberg.
Zu Weihnachten des Jahres 1828 erhält er als Weihnachtsgeschenk das Buch Die Weltgeschichte für Kinder von Georg Ludwig Jerrer. Der Inhalt dieses Buches, aus dem ihm sein Vater gelegentlich vorliest, begründet seinen festen Entschluss zur Suche nach der antiken Stadt Troja.
Die Kinder der Familie Meincke und Heinrich Schliemann sind in dieser Kinderzeit eng befreundet. In seinen Lebenserinnerungem schreibt Schliemann:
„… geschah es denn, dass ich meinen Spielkameraden bald von nichts anderem mehr erzählte, als von Troja und den geheimnissvollen wunderbaren Dingen, deren es in unserem Dorf eine solche Fülle gab. Sie verlachten mich alle miteinander, bis auf zwei junge Mädchen, Luise und Minna Meincke, die Töchter eines Gutspächters in Zahren, einem etwa eine viertel Meile von Ankershagen entfernten Dorfe; die erstere war sechs Jahr älter, die zweite aber ebenso alt wie ich. Sie dachten nicht daran, mich zu verspotten: im Gegentheil! stets lauschten sie mit gespannter Aufmerksamkeit meinen wunderbaren Erzählungen. Minna war es vorzugsweise, die das grösste Verständniss für mich zeigte, und die bereitwillig und eifrig auf alle meine gewaltigen Zukunftspläne einging. So wuchs eine warme Zuneigung zwischen uns auf, und in kindlicher Einfalt gelobten wir uns bald ewige Liebe und Treue. Im Winter 1829–30 vereinte uns ein gemeinsamer Tanzunterricht abwechselnd in dem Hause meiner kleinen Braut, in unserer Pfarrwohnung oder in dem ……….“.
Diese geschilderte Zuneigung hat sich ein ganzes Schliemannleben erhalten. Die weiteren Lebenswege verlaufen jedoch, wie so oft, unterschiedlich. Als er schließlich als erfolgreicher Kaufmann über einen Freund um die Hand von Minna anhalten will, erfährt er, dass diese bereits im Jahre 1845 den Gutspächter Friedrich Richers geheiratet hat.
Der weitere Erfolgsweg des Heinrich Schliemann ist hinreichend bekannt. Er findet Troja und die Stadt Athen wird zu seinem Lebensmittelpunkt. Er hat in zwei Ehen fünf Kinder.
Familie Frölich
Minnas Schwester Luise Meincke heiratet 1838 den Praepositus und Schriftsteller Franz Anton Peter Frölich. Die Familie lebt in Penzlin und hat drei Kinder. Dieses sind Otto Frölich geb. 1845, der Verfasser des besagten Albums, Max Frölich geb. 1847 und Ida Frölich.
Die Nichte und die Neffen der Minna Meincke sind mit Heinrich Schliemann das weitere Leben eng verbunden.
An dieser Stelle bekommt das verehrte Fräulein Ida ihre Identität. Zudem schreibt Schliemann in seinen Lebenserinnerungen:
„Durch die freundlichen Bemühungen meiner geehrten Freundin Fräulein Ida Frölich, der geistreichen Tochter des Herrn Praepositus E. Frölich, bin ich kürzlich in Besitz dieser Portraits, deren im Ganzen fünf sind, gelangt und habe denselben den Ehrenplatz in meiner Bibliothek, im Angesicht der Akropolis von Athen, eingeräumt. Bei Ableben der 98jährigen Jungfrau von Schröder waren diese Bilder in den Besitz des Nachfolgers meines Vaters, des hochwürdigen Pastors Conradi übergegangen, der sie der Kirche in Ankershagen vermacht hatte, sie mir aber abtrat, um letzterer für den Erlös, noch bei seinen Lebzeiten, ein dauerhafteres Geschenk, nämlich einen grossen silbernen Kelch zu verehren.!“
Damit enträtselt sich der Brief im Album von Idas Bruder Otto Frölich. Der Brief, der das Dankesschreiben für die geschilderten Bemühungen darstellt und welche mit einem Geschenk in Form eines Ringes honoriert werden.
Erst sehr viel später und erst nachdem die Lebenserinnerungen des Heinrich Schliemann veröffentlicht sind, erfahren die Familie Meincke und speziell Minna von ihren Rollen in dessen Leben. Es folgt mindestens ein Besuch von Mitgliedern der Familien Meincke bzw. Frölich in Athen, zu dem einiges Bildmaterial existiert.
Familien Frölich und Langbein
Otto Frölich, der Bruder Idas, verheiratet sich um das Jahr 1885. Ein Gruppenfoto der Familie zeigt die Eheleute aus Anlaß der Abreise des Sohnes Franz geb. 1886, der nach Argentinien ausreisen will. Gezeigt ist ebenfalls die Tochter Helene geb. 1888, die den Bruno Paul Heinrich Langbein heiratet und mit ihm die Töchter Ingebog und Gudrun Langbein hat.
Familie Hecker
Gudrun Langbein und der Transportunternehmer Heinrich Hecker in Allagen Niederbergheim gehen schließlich die Ehe ein.
Deren ältester Sohn Heinz Bruno führt das Unternehmen erfolgreich weiter. Inzwischen ist dessen Sohn Clemens in der dritten Generation mit der Firmenleitung, heute am Standort Anröchte, betraut.
Dort, von wo aus sich einst im Jahre 1777 Victor Hecker (1754 – 1814) auf den Weg nach Allagen machte.
Aktuelle Trägerin des im Jahre 1879 übersandten Ringes aus Athen, der so lange Zeit wahre Rätsel aufgegeben hat, wird wohl zukünftig wieder eine Ida sein, die Enkelin der Familie Hecker, die den Ring weiter bewahren wird, zumal dieser eine echte Geschichte hat.
Quellen:
Heinrich Schliemann: Kindheit und kaufmännische Laufbahn, von Heinrich Schliemann
Heinrich Schliemann: Archäologe und Abenteurer, von Justus Cobet
Privatarchiv Hecker