Ist im Möhnetal von Ketten die Rede, denkt man unweigerlich an die Kettenfertigungen des Viktor Röper und die Heimkettenschmieden der Region, die heute allesamt Geschichte sind.(1)
Die Kettenfabrik des August Thiele in Kalthof bei Iserlohn ist jedoch Realität. Eine Fabrik, die ihren Ursprung in Allagen hat.(2)
Wie ist das möglich?
Ein kleiner geschichtlicher Exkurs gibt die Antwort auf die Frage, wie das möglich war.
Die Copulationsregister im Kirchspiel Allagen beginnen im Jahre 1736. Darin ist als einer der ersten Einträge vermerkt, dass am 24. September 1738 der Wilm. Hen. Tiele die Gertrud Doerck geheiratet hat. Erst die Geburtseinträge der folgenden Jahre erlauben eine bessere Lesbarkeit.(3)
Thiele gen. Wilm Henrichs
Als dieser Wilhelm Henrici Thiele (*um 1706 – +1771) etwa im Jahre 1741 mit seiner Ehefrau Gertrudis Dooks ( – +1765) und den zwei Kindern von Allagen nach Hirschberg verzieht, scheint die Ära dieses Allagener Familienzweiges bereits abgeschlossen zu sein.
In Hirschberg stellen sich nun sechs weitere Kinder der Familie Thiele ein, die dort nun den Beinamen Wilm Henrichs trägt.
Die Kinder der Eheleute gründen sodann vorwiegend Familien in Hirschberg.
Doch im Jahre 1777 findet Anna Sophia Margaretha Thiele gen. Wilm Henrichs (*1745 – +1811) durch Heirat mit Franz Wilhelm Nübel aus Oberbergheim den Weg zurück in das Kirchspiel Allagen.
Ihr Bruder Caspar Joseph Thiele (*1751 – +1815 ) tut es ihr im Jahre 1782 nach und heiratet die Elisabeth Droste (*1753 – +1815 ) zu Allagen, wodurch die Wilm Henrichs in Allagen ein Ende finden.
Thiele gen. Droste
Caspar Joseph Thiele, der sich nun Droste nennt, hat sieben Kinder, von denen Andreas Wilhelm (*1785 – +1845) wechselnd als Schmied, als Tagelöhner bzw. als Ackersmann seine Familie ernährt. Eine Familie, die aus drei Ehen in den Jahren 1810 bis 1836 vierzehn Kinder umfasst, von denen nachweislich bereits fünf in der Geburt versterben.
Die beiden jüngsten Söhne Franz (*1828 – +1897) und Andreas Clemens Thiele (*1836 – +1884) werden in den Folgejahren als Kettenschmiede und Fabrikarbeiter bezeichnet. Sie sind ganz offensichtlich in den Fabriken des Viktor Röper beschäftigt und das in der Zeit als die Röperwerke bereits führend in der Kettenherstellung sind.
Andreas Clemens Thiele verheiratet sich im Jahre 1859 mit der Nachbarstochter Maria Theresia Korte (*1837 – +ca. 1874) und 1874 in zweiter Ehe mit Maria Anna Elisabeth Francisca Heppelmann (*1841 – +1909) aus Sichtigvor, der Tochter der Eheleute Franz Heppelmann und Ehefrau Elisabeth geb. Ferber.(3)
Das Haus Thiele, welches an der Einmündung des Nagelpfad an die Dorfstraße liegt, beherbergt in diesen Jahren sieben Kinder, von den zwei übrigens die Linien Thiele gen. Greithe und Thiele-Löckener begründen. Das Haus ist eines der ersten, welches nach der Teilung der Hude Allagens in den Bereich Wishor und den Bereich in der Gemeinheit errichtet wird.
Nach dem Niedergang der Röperwerke im Jahre 1860 verdingen sich die ehemaligen Fabrikarbeiter als Betreiber kleiner Heimkettenschmieden oder als Arbeiter in den Nachfolgefirmen Bangert & Großkurth ihren Lebensunterhalt. So auch Andreas Clemens Thiele, der sich nun Besitzer einer kleinen Kettenschmiede in Allagen an der Dorfstraße nennen kann und für Bangert & Großkurth tätig ist. Die Grundfläche der Schmiede umfasst gerade mal 4,5m x 9m. Diese Heimtätigkeit ohne Kranken- und Invalidenversicherung bringt ihm ca. 120 Reichsmark/ Monat ein.
Der Stammhalter Franz Caspar Joseph (*1859 – +1945) ist als sein Nachfolger als Landwirt und Kettenschmied etabliert. Dessen im Jahre 1897 geschlossene Ehe mit Maria-Elisabeth Haarhoff gen. Hufnagel (*1869 – +1948) aus Waldhausen ist mit zehn Kindern gesegnet, wobei lediglich Paul (*1906 – +1911) im Kindesalter verstirbt.
Das Leben der Familie Thiele bleibt nicht ohne Schicksalsschläge. Im Jahre 1912 brennt das Elternhaus völlig nieder.
Der Wiederaufbau bildet die Grundlage für das heutige Erscheinungsbild des HausesThiele.
Die beiden ältesten Söhne Josef (*1900 – +1964) und Albert (*1901 – +1988) helfen dem Vater in der Schmiede und tragen bereits als Heranwachsende zum Unterhalt der Familie bei. Es ist überliefert, dass die Fertigung einer 30 m Kette ca. 3 Reichsmark einbrachte.(4)
Gebrüder Thiele Allagen
Eine erste Zeitenwende lässt sich ausmachen, als am 1. Januar 1925 die vier Brüder Josef, Albert, August (*1903 – +1975) und Karl (*1905 – +1957) Thiele die Gründung der Firma Gebrüder Thiele Allagen kundtun.
Konsequenterweise folgt im Jahre 1926 die Erweiterung der bis dahin bescheidenen Heimschmiede auf die heutige Größe.
Im Jahre 1930 erfolgt das Ausscheiden von Josef und Karl Thiele, die nun eine gewisse Zeit lang eigene Wege gehen, um später jedoch wieder aktiv zu werden.
Gebrüder Thiele Kalthof
Am 14. März 1934 nutzen die Brüder Albert und August Thiele eine günstige Gelegenheit und ersteigern eine stillgelegte Kettenschmiede in Kalthof bei Iserlohn für 12.300 Reichsmark.
Bereits im Mai 1935 kann gemeinsam mit acht Mitarbeitern die Inbetriebnahme der Kettenfabrik Gebrüder Thiele Werk Kalthof erfolgen, wobei der laufende Betrieb in Allagen eine entscheidende Hilfe bedeutet (3).
Der Betrieb zweiter Standort erweist sich als schwierig, so dass im Jahre 1944 die wirtschaftliche Trennung von Werk Kalthof und Werk Allagen vollzogen wird, wobei August die Geschicke im Werk in Kalthof und Albert die in Allagen lenken. Es werden Kettenprodukte aller Art hergestellt, darunter auch Schneeketten mit den griffigen Produktnamen, wie Leiter, Zick-Zack, Quadrant und Bergsteiger.
Kettenfabrik Albert Thiele Allagen
Die Kettenfabrik Thiele in Allagen wird nach der Trennung von Thiele Kalthof umgerüstet. Die veralteten Feuer werden entfernt. Dafür werden Schweißautomaten und automatische Kettenschweißmaschinen installiert.
Das Werk Allagen wird über eine lange Zeit mit Drahtrollen zur Herstellung von Ketten von Werk Kalthof beliefert und liefert die daraus gefertigten Ketten nach Kalthof zurück.
Parallel dazu produziert Albert Thiele schwerpunktmäßig Kettenprodukte für den Einsatz in der Landwirtschaft, wie etwa Absperrketten, Kettengeschirre für Tiere etc. Die Verarbeitung der aus Kettensträngen, Ringen und Schäkel gefertigten Ketten erfolgt mittels Handschweißautomaten. Ebenso ist Albert Thiele in der Lage Schneeketten in den Varianten mit geraden und gedrehten Gliedern zu fertigen. Die gedrehten Glieder werden dabei einzeln d.h. sehr zeitaufwändig händisch hergestellt.
Die Kinder von Albert Thiele: Ursula, Margareta, Walter und Albert jun., sind als nachfolgende Generation in diesen Jahren nicht in Ketten, sondern mit Ketten herangewachsen. Sie sind stets gehalten, auch in den Schul- bzw. Semesterferien, dem Vater in der Kettenfabrik zu helfen und bei der Auslieferung zu Kunden als Fahrer zu fungieren.
Da Ende der Kettenfertigung auf automatischen Schweißmaschinen (C- Glieder in 6 und 8mm) deutet sich in den frühen 80er Jahren an, als Thiele Kalthof die Ketten, die in Lohnarbeit in Allagen gefertigt werden, in Ländern, wie Korea oder Schweden kostengünstiger einkaufen kann.
Zu Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre ist schließlich naturgemäß und altersbedingt das Ende einer langen Tradition der Kettenproduktion durch die Familie Thiele gen. Droste zu Allagen erreicht.
In gewisser Weise sind die eigentlichen Leidtragenden dieses Schrittes, die LKW-Fahrer aus Kalthof, die beim Bäcker Heinrich Lenze bei jeder Fahrt nach Allagen Brot für mehrere Angestellte der Fa. Thiele Kalthof mitzubringen hatten.(4)
Qualität setzt sich nicht nur in der Kettenfertigung durch.
Eigentümer des Anwesens an der Dorfstraße 93 in Allagen, bestehend aus Wohnhaus mit alter Kettenfabrik, ist heute Dr. Walter Thiele, wohnhaft in Bonn.
Quellen:
(1) Hecker, Wilhelm: Durch Ketten zum täglich Brot (2011)
(2) THIELE GmbH & Co. KG – Reportage über die Kettenherstellung auf Kabel1
(3) Kirchenbücher Allagen
(4) Familie Thiele, persönliche Mitteilungen (2021)
(5) Thiele, Das Unternehmen, Broschüre