Das Krebsufer

Ein Ort mitten im Ort,
an dem die Grauwacke zu Tage tritt

Topografie

Das Krebsufer spannt sich als eine abrupt aufsteigende Landschaftsformation am Möhnefluss in einem großen Bogen zwischen den beiden Möhnebrücken an der Dorfstraße und an der Viktor-Röper Straße im Orte Allagen auf.
Der steile Verlauf wurde in Jahrtausenden durch den Möhnefluss geformt und bildet die Grenzlinie zwischen dem Flussgebiet der Möhne und der Waldlandschaft des Arnsberger Waldes.

Geologie

Geologisch handelt es sich im Allagener- und Niederbergheimer Bereich des Arnsberger Waldes um 300 Millionen Jahre alte Silikatgesteine u.a. Sandstein bzw. Grauwacke des nicht flözführenden Oberkarbon.

Hinweise auf die tropischen Karbonsumpfurwälder geben jedoch die Funde versteinerter Siegelbäume (baumförmig wachsender Barläpppflanzen) im geologischen Aufschluss des Oberkarbon im Krebsufer in Allagen. 

Möhni fragt nach

Gemeindebruch und Bau der Pfarrkirche

Die Ausarbeitungen von Bernhard Kraft geben einen Einblick in die Nutzung der Grauwacke-Vorkommen am Krebsufer.(1,2)

Kraft schreibt dazu:

„In unserer Mitte schlug ein Zelt
zur Wohnung auf der Herr der Welt, Alleluja.“

Der Kirchhof war, soweit er nicht bebaut war, Eigentum der politischen Gemeinde, und die Gemeinde musste auch die Umfassungsmauer baulich unterhalten. Am 23. November 1886 – also vor Beginn des neuen Kirchenbaues – trat der Kirchenvorstand an die politische Gemeinde heran um Überlassung eines Bauplatzes auf dem Kirchhof unmittelbar neben der alten Kirche. Die Gemeinde war bereit, der Kirchengemeinde gegen Tausch des Platzes, auf dem die alte Kirche stand – die alte Kirche sollte nach Fertigstellung des Neubaues abgebrochen werden – den Bauplatz in der Größe, wie er für den Kirchenneubau erforderlich sei, unentgeltlich abzutreten.
Die Kirchengemeinde bat aber am 30. März 1887, ihr den ganzen Kirchhof zu überlassen und auf jedes Verfügungsrecht über den Kirchhof oder einen Teil desselben zu verzichten. Dem Antrage wurde stattgegeben mit der Begründung: „daß der politischen Gemeinde seit Menschengedenken die Pflicht abgelegen habe, die den Kirchplatz umstellende Mauer zu unterhalten, infolgedessen sie den ganzen Kirchhof ruhig abtreten könne, weil der Gemeinde dadurch nur eine Entlastung zugeführt würde.“
So ging dann der Kirchhof, soweit er noch der politischen Gemeinde gehörte, in der ungefähren Größe von 133 Ruten in das Eigentum der Kirchengemeinde über. Der Kaufpreis betrug je Quadratmeter eine Mark.
Die Steine für die Kirchhofsmauer und zum größten Teil auch für die Kirche wurden im Gemeindesteinbruch am Krebsufer gebrochen. Die Kirche musste einen Bruchzins von 15 Pf pro cbm zahlen. Die Scherben mussten aus dem Bruch entfernt und diese der Gemeinde für Wegebauten kostenlos überlassen, brauchten aber nicht aufgemetert zu werden.
Der Bruch enthält Grauwackengestein ( = grauer Stein). Hier und da zeigen sich reichlich Glimmerblättchen. Der Stein besitzt eine große Härte und vielfach Abdrücke von Pflanzen- und Tierresten. Die Grauwacke stammt aus der Steinkohlenzeit, führt aber keine Kohle. Der Steinbruch am Krebsufer zeigt eine Verwerfung und zwei Faltungen.
Leiter des Baues war Baumeister Franz Hellweg zu Paderborn, Bauunternehmer Plaßmann zu Soest.
Die Grauwackensteine zum Bau wurden in Allagen gebrochen in dem fünf Minuten von der Kirche entfernt gelegenen Bruche.
Aus dem Bruche war ein schmalspuriger Schienenweg durch den Pfarrhof zum Bauplatz gelegt. Die Steine wurden auf kleine, mit Eisenbahnrädern versehene Wagen verladen. Die Wagen wurden mittels eines Göpelwerkes durch ein Pferd aus dem Bruche auf die Höhe gezogen und liefen dann von selbst bergab bis auf den Bauplatz.(1,2)

Steinbrüche Loag und Schulte & Grundmann

Das Industriezeitalter war angebrochen, die Wirtschaft blühte und die Bevölkerung benötigte Häuser, da sie stark anwuchs. Die im Gegensatz zum Werler und Soester Grünsandstein witterungsfeste Grauwacke dieser Gegend war ein gefragtes Material für den Hoch- und Tiefbau.

Schon bald begann Heinrich Loag aus Niederbergheim mit der Anlage bzw. dem Betrieb von Steinbrüchen zunächst auf seinem Grundbesitz in Niederbergheim am Nordhang des „Hasenfangs“.(3)
Der vormalige Gemeindebruch in Allagen am „Krebsufer“ ging in den Folgejahren in den Besitz von Heinrich Loag über. Er teilte sich das Areal mit den Unternehmern August Schulte-Drüggelte und Fritz Grundmann aus Drüggelte, die faktisch zwei Abbauplätze bewirtschafteten, d.h. den Loag-Bruch umschlossen.

Lageplan am Krebsufer ca. 1909

Um die Steine zur Kundschaft transportieren zu können, hatte Heinrich Loag schwere Wagen angeschafft, die von Pferden gezogen wurden.
Eine hölzerne Brücke erlaubte Heinrich Loag den Materialtransport mittels dieser Fuhrwerke. Eine Seilbahn förderte zudem den Abraum vom Krebsufer über die Möhne bis kurz vor die Provinzialstraße.

Steinbrüche am Krebsufer

Durch den Bau der Bahnverbindung Soest-Brilon vereinfachte sich der Transport erheblich. Die Bahn fuhr faktisch über die Firmengelände.
Heinrich Loag starb am 22. November1907 in Niederbergheim.
Der Betrieb wurde von seiner Witwe unter der Bezeichnung „Wwe. H. Loag Dampf Straßenwalzen und Steinbruchbetrieb“ weitergeführt. Im Jahre 1913 musste der Betrieb wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten an Heinrich Milke verkauft werden.(3,4)

Schulte & Grundmann

Was die Holzhändler August Schulte-Drüggelte und Fritz Grundmann bewogen hat, in das Steinbruchgeschäft zu investieren ist Spekulation. Mit dem Bau der Möhnetalsperre musste das in Alt-Drüggelte angesiedelte Unternehmen den dortigen Standort aufgeben. Der Bau der Talsperrenmauer und der damit verbundenen zahlreichen Brücken sowie Viadukte machte die Bereitstellung von robusten Grauwacken dringend erforderlich und zu ein lohnendes Geschäft.

August Schulte-Drüggelte verstarb am 20. März 1908 in Drüggelte.

Zur weiteren Firmenentwicklung berichtet die Stadtchronik von Belecke folgendes:

Der Freiherr von Nagel auf Schloß Welschenbeck hatte ganz in der Nähe seines Wohnsitzes eine alte Sägemühle, die er im Jahre 1912 an die Firma Schulte und Grundmann aus Drüggelte, wo sie der entstehenden Möhnetalsperre Platz machen musste, verpachtete.
Im Jahre 1919 erbaute der mittlerweile alleinige Inhaber Fritz Grundmann ein neues Sägewerk an der Rüthener Landstraße. Die Anlagen waren für die damalige Zeit modern und praktisch. Statt der Wasserkraft bediente man sich hier der Dampfkraft. Es wurde ein eigener Gleisanschluss gelegt. In dem Werke wurden zur Hauptsache Bauholz und Eisenbahnschwellen geschnitten. Das Werk beschäftigte durchschnittlich 15 Arbeiter. Der allgemeine Rückgang im deutschen Wirtschaftsleben traf dieses Werk besonders hart. Der Reihe nach mußten die Leute entlassen werden. Das bittere Ende war 1931 gänzliche Stilllegung. In der Zwangsversteigerung erwarb es die Belecker Spar- und Darlehnskasse für 17.000 Mark.(5)

Fritz Grundmann ist am 10. September 1937 an den Folgen eines Unglücksfalls im Krankenhaus Warstein gestorben.(6)

Grauwacke-Steinbrüche Heinrich Thiemann

Im Jahre 1927 erlebten die Steinbrüche Schulte & Grundmann und der zu dem Zeitpunkt bereits ruhende Bruch Wwe. Heinrich Loag eine Renaissance, durch die Zusammenlegung der Teilbrüche und Verlegung eines Feldbahnanschlusses zum Verladebahnhof.

Mitteilung im Patriot vom 15.03.1927 zur Zusammenlegung der Steinbrüche am Krebsufer

Der Bauunternehmer Heinrich Thiemann aus Soest firmierte zu der Zeit unter der Bezeichnung Allagener Grauwacke-Steinbrüche.

Werbeanzeige des Heinrich Thiemann aus dem Jahre 1928

Der Steinbruchbesitzer Heinrich Thiemann verstarb am 16.08.1936 in Soest.(7)

Bauobjekte am Krebsufer

Bebauung am Krebsufer ca. 1909

Bahntrasse und Bahnhof

Die Bebauung des Krebsufers bzw. der Bereiche um und in den Steinbruch-Geländen begann mit der Errichtung des Bahnhofs Allagen.

Zuvor hatten die Erdarbeiten zur Anlage der Bahntrasse erhebliche Eingriffe in die Böschungsstrucktur des Krebsufers, insbesondere im Sohlenbereich, geführt. Der Stukenweg auf dem Kamm wurde begradigt und zurückverlegt.

Ansicht auf den Bahnhof Allagen und in das Krebsufer

Gasthof Horche

Unmittelbar an den Bahnhofsbau gekoppelt war die Errichtung der Gaststätte Horche.

Schreinermeister Eberhard Weber

Die erste Wohnbebauung erfolgte durch Eberhard Weber, der bereits am 28. Januar 1905 von der Wwe. H. Loag ein Grundstück am Krebsufer erworben hat, um dort sein noch heute fast unverändert existierendes Wohnhaus zu errichten.

Wohnhaus der Familie Weber am Krebsufer

Nach einem erfüllten kreativen Leben verstarb Eberhard Weber am 30. April 1939 in Allagen am Krebsufer.

Bahnhofsvorsteher Joseph Stallmeister

Was ist naheliegender, als dass der Bahnhofsvorsteher in unmittelbarer Nähe seines Arbeitsplatzes ein Haus errichtet. Er war im Jahre 1938 vom Bahnhof Wamel nach Allagen versetzt worden.

Im Jahre 1940 erwarb Joseph Stallmeister von den Erben Loag ein Grundstück in der Steinkuhle, wie diese Örtlichkeit angesichts des doch eher unaufgeräumten Steinbruchgeländes im Volksmund genannt wurde.

Dazu war es zunächst notwendig, dass der Nachbar Weber die massiven Schutthalden, die sich durch das gesamte ehemalige Steinbruchgelände zogen,  abtrug bzw. einebnete,

Erst dann begann die Arbeit der Familie Stallmeister. Im Jahre 1942 konnte das Haus bezogen werden.

Rudi Stallmeister, der Sohn des Joseph Stallmeister, kann sich gut erinnern und berichtet authetisch dazu,

Blick in das Krebsufer ca. 1946. Vom Bahnhof auf Weber und Stallmeister.

Das Flüchtlingshaus

Im Jahre 1944 wurde Joseph Stallmeister angehalten angesichts des enormen Flüchtlingsstromes eine Familie aufzunehmen. Angesicht einer gewissen Enge im Haus baute er kurzentschlossen ein zweites Wohnhaus auf seinem Grundstück, in welchem die Flüchtlingsfamilie unterkam. Auch für diesen Hausbau mussten wiederum große Mengen an Steinbruchschutt abgetragen werden. Das Haus wurde 1948 fertiggestellt.

Der Bahnhofsvorsteher Joseph Stallmeister verstarb am 15. Juni 1953 in Allagen.

Es bleibt zu erwähnen, dass im Jahre 1963 einer seiner Söhne ein drittes Stallmeister-Haus am Krebsufer errichtet hat. Auch der Baubeginn dieses Hauses war mit der Beseitigung von Schutthalden verbunden.

Bunkerbau

Die Nutzung des Steinbruchgeländes am Krebsufer verliert in den 1930er Jahren an Bedeutung. Die massive Steinformation mitten im Ortskern Allagens erfährt in den Kriegsendjahren eine neue wenn auch traurige Aktivität. An den verschiedensten Stellen begann man auch in Allagen mit dem Bau von Bunkern, so bei Pelzer, Wohlmeiner, in der Liet  in der Nähe von Loag.

Mit Hilfe der Nachbarn wurde bei Pelzer unterhalb des Stukenweges ein Stollen in den Steinbruch am Krebsufer getrieben. Der Bunker sollte bis in die Eilmecke vorgetrieben werden. Nur wer sich an den Arbeiten beteiligte oder die Arbeit durch eine Geldspende unterstützte, sollte darin Schutz suchen dürfen. Eine Polizeiverordnung hob aber diese privaten Bestimmungen auf.(1,2)  Die Bunker kamen nie zum Einsatz. Sie dienten eine gewisse Zeit als Lagerplatz und heute als Brutplätze für Fledermäuse.

Der Bau des größten Bunkers begann im Steinbruch am Krebsufer durch die Initiative der Familien Stallmeister und Weber. Der Steinbruchbesitzer und Sprengmeister Theodor Henneböhl aus Rüthen, der Schwiegervater des Joseph Stallmeister, hatte einen Stollen in die Bruchwand am Krebsufer gesprengt, der in einen abknickenden kleinen Aufenthaltsraum mündete. Liegen für die eigenen Kinder und die der Nachbarn sowie eine Stromversorgung machten diesen Bunker zum komfortabelsten an dieser Stelle.

Rudi Stallmeister erinnert sich noch lebhaft an diesen Bunkerbau.

Dieser Bunker wurde ca. 1990 verfüllt.(8)

Ein Ort der Erinnerung

Im Jahre 2023 wurde diese Bunkeranlage geöffnet, gesichtet und wieder verschlossen.

Quellen:

1) Kraft, Bernhard: Geschichte des Kirchspiels Allagen. Ein Heimatbuch (1930)
2) Kraft, Bernhard: Geschichte des Kirchspiels Allagen (1967)
3) Chronik, Loags Hof (2021)
4) 1072 – 1997 Nieder- und Oberbergheim, Beiträge zur Dorfgeschichte (1997)
5) Präsidium Baduliki Belecke (1970)
6) Stadtarchiv Warstein (2021)
7) Stadtarchiv Soest (2021)
8) Droste, Anni: Hanse der Stallmeister und seine Nachkommen -560 Jahre Stallmeister-Familien im Bürener Raum (2005)